Ein Bild, welches definitiv der Vergangenheit angehört. Der Merlischaher Spitzenruderer Julian Müller hört auf – just vor Olympia. Bild: Luzerner Zeitung

Der Merlischacher Julian Müller, Spitzenruderer, gibt seinen Rücktritt aus dem Spitzensport bekannt. Er konzentriert sich jetzt auf sein Studium.

Erhard Gick

Als Leichtgewichtsruderer gehörte Julian Müller (25) aus Merlischachen zu den besten Schweizern seiner Gewichtsklasse. «Das regelmässige Hungern, um das Wettkampfgewicht von 70 Kilos zu erreichen, raubte mir aber immer viel Energie.»

Der U23-Weltmeister von 2017 rang sich nach dem Ruder-Weltcup in Polen 2019 zum Wechsel in die offene Gewichtsklasse durch. Auf diesem Weg und auf dem Weg zu den Olympischen Spielen in Tokio ist jetzt aber Endstation. Der Merlischacher hängt seinen Rudersport zugunsten einer beruflichen Ausbildung an den Nagel. Leichtgefallen ist dem in Merlischachen lebenden Spitzenruderer dieser Entscheid nicht.

 

Sie treten vom aktiven Spitzensport zurück. Dieser Entscheid kommt überraschend, weshalb?

Ja. Mein Ziel waren die Olympischen Spiele 2020. Mit Corona haben sich meine Pläne geändert. Ich trainierte immer zu Hause, dann kam der Lockdown. Diese Situation hat mich zum Nachdenken gebracht, ob ich noch ein Jahr weitermachen, weiterkämpfen will. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt bereits mein Studium eingeplant beziehungsweise begonnen. Ich bin mit 25 Jahren nicht mehr der Jüngste und habe mir selbst Druck auferlegt, dass ich jetzt mit einer Ausbildung starten will. Die Ausbildung war einer der Hauptgründe, jetzt mit dem Spitzensport aufzuhören.

Die aktuelle Lage, ob die Olympischen Spiele tatsächlich stattfinden könnten – spielte dies eine Rolle dabei?

Das war für mich der zweite entscheidende Grund. Diese unsichere Lage, ob die Olympischen Spiele dieses Jahr überhaupt noch stattfinden können, waren nebst der Wahl zur Ausbildung mitentscheidend. Im Verlaufe des letzten Jahres zeichnete es sich immer mehr ab, dass mein Studium zur Hauptaktivität wird. Ich studiere jetzt an der Uni St. Gallen Vollzeit. Das war ein rechter Change in meinem Leben. Ich bin überzeugt, dieser Schritt war der richtige Entscheid, auch unter dem Aspekt mein eigentliches Ziel, Olympia, nicht erreicht zu haben.

Trotzdem haben Sie einiges erreicht.

Ja, und deswegen kann ich auch viel vom Sport profitieren auf meinem künftigen Weg der Ausbildung in St. Gallen. Rückblickend möchte ich aber dem Kanton Schwyz und dem Schwyzer Sportverband danken. Sie haben mich zusammen mit wenigen Sponsoren ideal durch den Sport begleitet. Was ich bedaure, ist, dass sie mich jetzt nicht an die Spiele «begleiten» dürfen.

Überraschend ist es, weil die Olympischen Spiele bevorstehen. Sie haben ja stark auf diesen Grossevent hingearbeitet. Und jetzt der Rücktritt?

Wie erwähnt, ich habe mir den Rücktritt nicht einfach gemacht. Mit der Umstellung auf die offene Klasse haben sich meine Chancen auf Olympia auch etwas verringert, weil ich mich immer noch in der Aufbauphase in dieser offenen Gewichtsklasse befand. Ich hatte noch nicht das Niveau erreicht, auf dem ein «Schwergewichtler» sein muss. Ich hätte wohl bis 2024 (Anmerkung: Paris 2024), den nächsten Olympischen Spielen, gebraucht, um diese Basis zu erreichen. Das ist die Wahrheit. Es braucht für solche Ziele einfach Zeit und viel Engagement. Dazu wurde mir das Studium zu wichtig.

So gesehen, kam der Event Olympia zu früh für Sie?

Bezüglich meiner Schwergewichtskarriere kann man dies so auslegen. Als Leichtgewichtler war ich halt körperlich, bedingt durch meine Grösse, am Limit. Ich konnte mit meinem Gewicht von 70 Kilogramm nicht mehr höchste Leistungsfähigkeit bringen und bin in dieser Gewichtsklasse an Grenzen gestossen. Corona hat mir und vielen anderen Sportlern zusätzlich in die Karten gespielt. Erst dieses Wochenende hatte das Nationalteam seit eineinhalb Jahren wieder das erste Rennen. Das ist und war einfach eine lange Durststrecke ohne Rennen.

Sie sagen damit, die Belastung Schule und Sport war nicht mehr unter einen Hut zu bringen. Die Variante eines verlängerten Studiums kam für Sie nicht infrage?

Das wäre vielleicht eine Option. Es ist aber nicht möglich, beides, Sport und Ausbildung, auf einem sehr hohen Niveau zu betreiben. Etwas leidet immer, obwohl es vielleicht Sportlerinnen und Sportler gibt, die beides schaffen. Ich bin ehrlich, ich bin kein Übermensch. Drei Trainings pro Tag nebst dem Studium ist für mich nicht mehr infrage gekommen. Ich will jetzt meine ganze Energie in meine Ausbildung investieren.

Ist es Ihnen schwergefallen, sich für die Ausbildung zu entscheiden?

Es ist mir eigentlich relativ leichtgefallen. Wie im Sport habe ich mir einen kleinen Trainingsplan erstellt. Man braucht auch in der Ausbildung einen Rhythmus. Ein Studium ist mit dem Sport vergleichbar, nur dass dieses Engagement im Kopf stattfindet. In den ersten Wochen war diese intensive Kopfarbeit oder die Konzentration darauf eine Herausforderung.

Werden Sie gänzlich von der Sportbühne abtreten?

Ich treibe täglich Sport, bin also noch fit. Ich sorge dafür, dass meine Gesundheit auf der Höhe bleibt. Das muss man, denn nach dem Leistungssport wäre es gefährlich, einfach gänzlich mit dem Sport aufzuhören. Um auf die Frage zurückzukommen, im Moment fehlt mir die Kapazität, Leistungssport zu betreiben. Da ich in St. Gallen wohne und der Bodensee fürs Rudern etwas weit weg liegt, wäre der Aufwand zu gross geworden. Wenn ich aber Lust zum Rudern verspüre, werde ich sicher wieder mal in ein Boot sitzen und eventuell gar ein Rennen bestreiten.

Rudern war Ihre Leidenschaft, Sie werden diese Leidenschaft also trotz Rücktritt noch pflegen?

Ab und zu sicher. Mit meinem Heimclub, dem Seeclub Luzern, meinen Kollegen, rudere ich gerne hin und wieder. Coronabedingt waren aber auch diese Möglichkeiten eingeschränkt. Rudern ist eine coole Sportart. Mit den Lockerungen ist es wieder möglich, eine Ausfahrt zu machen.

Sie absolvieren ein Studium, welche Richtung?

Ich befinde mich jetzt im ersten Jahr, einem Basisjahr. Nach diesem Basisjahr kann man in St. Gallen in vier verschiedene Richtungen weiterstudieren. Ich tendiere zur Betriebswirtschaftslehre.

Wie sieht Ihre nahe oder längerfristige Zukunft jetzt aus nach und mit dem Sport?

Ich betätige mich polysportiv. Das Angebot ist vielseitig hier an der Uni. Ich treibe Sport, der Spass macht. Das kann auch mal Tennis sein. Mein Hauptziel ist es, mit Sport fit zu bleiben.

Was gedenken Sie längerfristig zu tun?

Im Moment ist es schwierig, zum Sport eine konkrete Aussage zu machen. Ob ich je wieder in den Leistungssport zurückkehre, kann ich im Moment nicht beantworten. Dazu habe ich jetzt andere Prioritäten.

Sie waren als Nachwuchssportler im Projekt «Schwyzer Topshot-Sportler» integriert, was hat Ihnen dies gebracht?

Der Schwyzer Sportverband war der erste, der mit seinem Projekt Topshot auf mich aufmerksam wurde und mich finanziell im Sport und bei meinen sportlichen Zielen unterstützt hat. 2017 wurde ich Weltmeister, damals noch gänzlich ohne Sponsoren ausser der Armee, die es mir ermöglichte, eine Sport-Rekrutenschule zu absolvieren. Vom Sport konnte ich damals nicht leben, aber mit der Unterstützung des Kantons, namentlich Peter Wullschleger als Präsident dieser Topshot-Kommission des Sportverbandes, und auch mit Lars Reichlin der Abteilung Sport des Kantons Schwyz wurde es überhaupt möglich, mich voll auf den Sport konzentrieren zu können. Die beiden Organisationen haben es mir ermöglicht, innerhalb professioneller Strukturen trainieren zu können.

Was können Sie aus eigener Erfahrung jungen Sportlerinnen und Sportlern mit auf den Weg geben?

Das ist eine gute und auch schwierige Frage. Jeder junge Athlet hat einen differenzierten familiären Hintergrund. Es sind viele Faktoren entscheidend, die zum Erfolg führen. Wichtig ist, dass Sport Spass macht. Es braucht täglich den guten Willen, die Motivation, aufzustehen und Sport zu treiben. Es ist für junge Sportlerinnen und Sportler aber auch wichtig, den Fokus nebst dem Sport auf eine gute Ausbildung zu legen. Ich war ein Jahr an der ETH, habe das probiert. Es wurde für mich zu viel. Ich habe aber erkannt, dass es wichtig ist, den Fokus auch auf die Ausbildung zu richten. Für junge Sportler ist es entscheidend, dass Trainer und Familie ein optimales Umfeld schaffen, wo Spitzensport möglich ist. Es braucht aber Verzicht und Wille für den Erfolg.

Ist der Kanton Schwyz ein gutes sportliches Pflaster?

Sehr. Wenn ich an unsere Skisportler denke, dann beweist es, dass der Kanton Schwyz ein gutes Umfeld für Spitzensport bietet. Hier ist es möglich, Sommer- und Wintersport auf höchstem Niveau zu betreiben. Ich denke da an Max Heinzer, an Corinne Suter und alle anderen Sportlerinnen und Sportler, die mit internationalen Spitzenleistungen glänzen.

 

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